„Manchmal wünsche ich mir mehr Mut und Konsequenz der Behörden“

Wie sein Vater wurde Herbert Reul zunächst Lehrer. Nach dem Studium der Sozial- und Erziehungswissenschaften in Köln und dem Referendariat arbeitete er als Studienrat am Städtischen Gymnasium im bergischen Wermelskirchen. Die politische Karriere führte Herbert Reul über den örtlichen Stadtrat in den Landtag, dem er von 1985 bis 2004 angehörte. Als schulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion (1985 bis 1991) brachte er seine beruflichen Erfahrungen ein. 1991 machte ihn Norbert Blüm zum Generalsekretär der NRW-CDU. Die Funktion des Parteimanagers übte er bis 2003 aus – länger als alle seine Vorgänger und Nachfolger. Ab 2004 machte sich Herbert Reul im Europäischen Parlament einen Namen: als Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (2009 bis 2012), an der Spitze der Delegationen für die Beziehungen zur koreanischen Halbinsel und zuletzt als erster Mann aller deutschen Unionsabgeordneten in Brüssel. Herbert Reul hat „ein bisschen überlegen“ müssen, als ihn Ministerpräsident Armin Laschet im Frühsommer 2017 ansprach und ihm das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen anvertrauen wollte. 13 Jahre war er bis dahin Europa-Abgeordneter der CDU in Brüssel gewesen. Und dann hat er „ja“ gesagt zu Laschet, zu Düsseldorf und zum neuen Amt. Seit dem 30. Juni 2017 ist Herbert Reul Minister des Innern und damit auch und vor allem für die Sicherheit in seinem Heimat-Bundesland verantwortlich. Der Kampf gegen die Clankriminalität, entschlossenes Vorgehen gegen Kindesmissbrauch und Null-Toleranz-Politik werden mit dem Innenminister verbunden. Der Verfassungsschutz, der zu seinem Ressort gehört, geht entschlossen gegen Extremismus und Terrorismus vor. Die Arbeit der Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen liegt Reul seit jeher am Herzen. Bei den Einsätzen gegen Besetzer des Hambacher Forsts und in Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier bewies er klar Position. „Es müssen sich alle an die Regeln halten, sonst funktioniert das Zusammenleben nicht“, lautet einer seiner Grundsätze.

NRW-Magazin: Angesichts der jährlich wiederkehrenden Böllerexzesse in NRW-Metropolen fordert der Landesbund Nordrhein-Westfalen im Deutschen Beamtenbund und Tarifunion (DBB NRW) eine konsequente Ausschöpfung aller gesetzlichen Möglichkeiten, um die ausufernden Angriffe auf Ordnungs- und Sicherheitskräfte sowie Feuerwehrleute und Sanitätspersonal stärker zu verfolgen und zu ahnden. Welche Maßnahmen sehen Sie aus Ihrer Sicht als besonders wirksam an?

Innenminister Reul: Dass Menschen, die für uns alle im Einsatz sind, angegriffen werden, schockiert mich. Jeder einzelne Angriff ist zu viel. Wir haben es grundsätzlich mit mehr Gewalt in unserer Gesellschaft zu tun. Bei vielen ist der Respekt voreinander aber auch vor Menschen in Uniform abhandengekommen. Im Bereich Gewaltkriminalität haben wir 2024 rund 55.600 Taten erfasst. 2023 waren es ähnlich viele, 55.800. Was mich aber weiter beunruhigt, dass innerhalb der letzten zehn Jahre die Gewaltkriminalität um 20 Prozent gestiegen ist. Das, was an anderer Stelle nicht klappt – Erziehung, Schule, Integration – sehen wir am Ende des Tages in solchen Zahlen. Heißt aber auch: Wir sehen daran, wie es um unsere Gesellschaft steht. Es hat sich etwas verändert. Dem lauten Wort folgt die Tat, immer öfter die Gewalttat. Die Zündschnur ist kürzer geworden, der Umgang ruppiger. Aber Gewalt muss Auslaufmodell werden. In 2024 wurden über 10.000 Fälle von Widerstand gegen und tätlichen Angriff auf die Staatsgewalt erfasst, etwas mehr als im Vorjahr. Dieser Anstieg reiht sich ein in die Kategorie ‚den Respekt voreinander verloren‘. Ich bin auch der Meinung, dass wir konsequenter gegen diese Leute vorgehen müssen, die Einsatzkräfte angreifen. Wir müssen alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Bezogen auf die `Böllerexzesse´ in der Silvesternacht, besteht die Schwierigkeit darin, dass wir die Leute, die Randale gemacht haben, nicht immer ausfindig machen und den Taten zuordnen können. Auch weil das oft in unübersichtlichen Lagen, in Gruppen und in der Dunkelheit stattfindet. Die Polizei arbeitet gerade in den Großstädten mit ausgetüftelten Sicherheitskonzepten und schärft immer weiter nach.

NRW-Magazin: Vor dem letzten Jahreswechsel machten Böller- und Pyrotechnik-Angriffe aus der Autotuner- und Autoposer-Szene gegenüber ordnenden Polizeikräften im Rahmen eines internationalen Tuner-Treffens in Aachen auch außerhalb Nordrhein-Westfalens Schlagzeilen. Was halten Sie von dem Vorschlag des DBB NRW Tätern bei Nötigung und Gewalt gegenüber Polizeikräften, Feuerwehr und Rettungsdiensten durch die kommunalen Fahrerlaubnisbehörden, die Fahrerlaubnis zu entziehen? Insbesondere bei Angriffen, aus der Autotuner- und Autoposer-Szene, mit Bezug zum Straßenverkehr oder generell im öffentlichen Raum wäre die mangelnde Charakterliche Eignung zum Führen eines Kfz quasi offensichtlich. Wäre hier nicht eine Initiative auf Bundesebene sinnvoll?

Innenminister Reul: Grundsätzlich besteht die Herausforderung bei solchen Taten im konkreten Nachweis der Handlung des Einzelnen. Die Taten müssen so ins Gewicht fallen, dass man davon ausgehen kann, dass sie zum Führen eines Autos charakterlich nicht geeignet sind. Wenn Autofahrer Einsatz- und Rettungskräfte mit Böllern und Raketen beschießen, dürften das unstrittig sein. Kann man solchen Leuten vertrauen, wenn es darauf ankommt, pflichtgemäß bei Unfällen oder Notlagen `Erste Hilfe´ zu leisten und die Einsatz- und Rettungskräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen? Hier sind auch andere Behörden gefragt. Letztlich entscheidet die Straßenverkehrsbehörde und nicht die Polizei über den Entzug der Fahrerlaubnis. Polizei kann das nur anregen und gegebenenfalls Beweise liefern. Allerdings wünsche ich mir hier manchmal auch etwas mehr Mut und Konsequenz der Straßenverkehrsbehörden bei der Ausschöpfung vorhandener rechtlicher Möglichkeiten. Ich bin der Meinung, dass der Entzug der Fahrerlaubnis gerade den Leuten aus der Tuner-Szene am meisten wehtut. Wahrscheinlich mehr als Geldstrafen. Bestes Beispiel: Rockerszene. Aber grundsätzlich ist das kein neuer Vorschlag. Die Polizei macht Eignungsüberprüfung bei den Straßenverkehrsbehörden. Wenn zum Beispiel jemand immer wieder im Kontext von Messergewalt in Erscheinung getreten ist, ist das auch schon ein Sanktionsmittel, das die Polizei anwendet.

NRW-Magazin: Der DBB NRW fordert wiederholt ein landesweites Böllerverbot für den öffentlichen Raum. Die Tage um den Jahreswechsel sind die mit der höchsten Zahl an Ordnungswidrigkeiten und Verstößen gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz. Könnte das Land auch mit der Schaffung eines gesetzlichen Rechtsrahmens bezüglich eines landesweiten Böllerverbotes den Kommunen eine wertvolle Hilfe leisten?

Innenminister Reul: Ich bin kein Freund davon, alles zu verbieten. Es war doch früher auch möglich Feuerwerk mit Freude zu zünden, ohne Menschen zu gefährden. Diese Verbotsdiskussion bei Böllern ist einfallslos. Jedes Verbot muss in der Fläche auch kontrolliert werden, sonst sind das Paragraphen fürs Altpapier. In dieser Diskussion mogeln wir uns an der eigentlichen Aufgabe vorbei. Wenn wir das ernsthaft angehen wollen, müssen wir diese Herausforderung an der Ursache packen, nicht an den Symptomen rumdoktern. Das eigentliche Problem sind doch nicht die Böller, sondern die Leute, die diese Dinger schmeißen. Chaoten, die Freude daran haben andere Menschen zu verletzen, werden mehr. Wir müssen junge Menschen klarmachen: Randale bedeutet Konsequenzen, Gewalt hat auf unseren Straßen nichts zu suchen. Achtet und respektiert jeden, der vor euch steht. Sonst gibt’s Ärger mit der Polizei.

NRW-Magazin: „Sicher im Dienst“ ist eine Präventionskampagne der nordrhein-westfälischen Landesregierung und ein Baustein der Initiative „Mehr Schutz und Sicherheit von Beschäftigten im öffentlichen Dienst“. Die Kampagne zielt darauf ab, den öffentlichen Dienst zu stärken, sicherer zu machen und für das Thema „Gewalt gegen Beschäftigte“ zu sensibilisieren. Wie zufrieden sind Sie mit der Initiative #sicherimDienst?

Innenminister Reul: Ich bin sehr zufrieden mit diesem Netzwerk. Die Leute, die das 2021 gegründet haben, hatten damit eine tolle und ganz zeitgemäße Idee: Leute finden zueinander, tauschen sich mit ihren Erfahrungen und Lösungsansätzen aus. Vereinen sich in der Sache. Und das alles selbstorganisiert und in Eigenregie. Heute kann `SicherimDienst´ auf über 850 Netzwerkpartner aus Behörden, Institutionen und Verbänden schauen. Über 2.450 Beschäftige erreichen wir damit. Und die `SicherimDienst´-Familie wächst. Wichtig ist auch die Botschaft, die von diesem Netzwerk ausgeht: Keine Toleranz gegenüber Gewalt. Ich finde gut, dass `SicherimDienst´ wirklich konkrete Vorschläge an die Hand gibt. Zum Beispiel für Mandatsträger oder in der Pflege.

NRW-Magazin: Fußballvereine dürfen an den hohen Kosten für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen beteiligt werden, was das Bundesverfassungsgericht kürzlich entschieden hat. In der Saison 2022/2023 gab es insgesamt 52 Hochrisikospiele in den ersten beiden Bundesligen. Die Arbeitsbelastung der nordrhein-westfälischen Polizei aufgrund von Fußballspielen in NRW lag in der Saison 2023/24 bei rund 565.000 Stunden, was dem rechnerischen Stellenanteil von etwa 434 Beamten entspricht. Warum sind Sie gegen eine Kostenbeteiligung von Fußballvereinen an Polizeieinsätzen bei sogenannten Risikospielen?

Innenminister Reul: Mit dem Urteil herrscht Klarheit und damit ist uns die Möglichkeit gegeben, Vereine zur Kasse zu bitten. Trotzdem bleibe ich dabei: Polizeieinsätze dürfen kein Preisschild haben. Für Sicherheit und Ordnung zu sorgen, ist ein Versprechen des Staates an seine Bürger. Trotzdem hoffe ich, dass die Botschaft jetzt bei den Verantwortlichen ankommt: Gut verdienende Vereine und Stadionbetreiber müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein und mehr Geld in die Sicherheit Ihrer Stadien stecken. Auf dem Gelände des Stadions beispielsweise gilt das Hausrecht. Der Hausherr muss ein Sicherheitskonzept aufstellen und dafür im Zweifel auch eigene Sicherheitsmitarbeiter und Ordner bezahlen. Wir wollen gemeinsam mit den Vereinen und Betreibern für Sicherheit sorgen, anstatt am Ende Rechnungen zu schreiben. Die Erstattung von Einsatzkosten der Polizei, unabhängig von der Schaffung entsprechender Rechtsnormen, halte ich für nicht geeignet, den Gewalttätigkeiten bei Fußballspielen entgegenzuwirken. Ich bin eher dafür, dass wir die Eintrittskarten personalisieren. So können wir dafür sorgen, dass Chaoten, die immer wieder auffallen, letztlich gar nicht erst ins Stadion kommen.

NRW-Magazin: Herr Minister, wir bedanken uns für das Gespräch.

​DBB NRW – Beamtenbund und Tarifunion Nordrhein-Westfalen 

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