Ehemaliger Bundesverfassungsrichter erkennt Verfassungswidrigkeit der Beamtenbesoldung in NRW

Denn neben der Umsetzung des Tarifergebnisses erfolgte eine Besoldungsstrukturreform, insbesondere durch die Einbeziehung eines fiktiven Partnereinkommens bei der Berechnung des Mindestabstands der Nettoalimentation zum grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf.

Zur verfassungsrechtlichen Prüfung konnte der DBB NRW den anerkannten Staats- und Verfassungsrechtler, früheren Richter am Bundesverfassungsgericht, Inhaber der Professur für Öffentliches Recht und zugleich Direktor des Forschungskollegs normative Gesellschaftsgrundlagen an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio als externen Gutachter gewinnen.

Die Ergebnisse seiner gutachterlichen Prüfung in der Zusammenfassung:

Das Gesetz in der Fassung vom 29. Oktober 2024 ist insgesamt verfassungswidrig. Die Berücksichtigung eines „Partnereinkommens“ in der Besoldungsbemessung steht nicht im Einklang mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes. Die Besoldung eines Beamten, die das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung wahrt, darf nicht von einem Antragserfordernis abhängig gemacht werden. Der Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag verletzt das besoldungsinterne Abstandsgebot zwischen den normierten Besoldungsgruppen.

Regelmäßige Prüfung einer verfassungsgemäßen Beamtenbesoldung:

Der seit Mitte der 2000er Jahre geltende „Besoldungs-Föderalismus“ hat innerhalb einer Dekade zu einer stark differenzierten Beamtenbesoldung im Vergleich der Länder untereinander und im Verhältnis zum Bund geführt. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Gesetzgeber die Beamtenbesoldung nicht in demselben Maße wie für Tarifbeschäftige angehoben haben und unter der allgemeinen Entwicklung von Einkommen und Sozialleistungen geblieben sind.

Diese Entwicklung hat das Bundesverfassungsgericht verstärkt seit 2015 dazu veranlasst, detaillierte Maßstäbe für die amtsangemessene Besoldung von Beamten, Richtern und Staatsanwälten in Bund und Ländern zu definieren. Ein mehrstufiges Prüfungsschema bestimmt unter anderem die Mindestalimentation des Beamten und seiner Familie im Vergleich zur sozialrechtlichen Grundsicherung und gewährleistet den gebotenen Abstand zwischen den Besoldungsgruppen.  

Besoldungsstrukturreform im Landesbesoldungsgesetz:

Vor diesem Hintergrund hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen die Art und Weise der Besoldungsberechnung verändert (LT-Drucks. 18/9514; Vorabdruck 18/61 v. 10.10.2024). Neue Bezugsgröße für die Berechnung des gebotenen Mindestabstands der Nettoalimentation zur Grundsicherung ist nunmehr die Mehrverdienerfamilie. Konkret wird ein fiktives Partnereinkommen in Höhe mindestens eines „Minijob“-Jahresgehalts berücksichtigt. Bezieht der Partner des Beamten kein oder ein geringeres Einkommen, kann der Beamte jährlich einen Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag (§ 71b LBesG-neu) beantragen, der den Mindestabstand zur sozialrechtlichen Grundsicherung tatsächlich wiederherstellt.

Verfassungswidrigkeit der Berücksichtigung eines fiktiven Partnereinkommens:

Die Berücksichtigung eines „Partnereinkommens“ in der Besoldungsbemessung steht nicht im Einklang mit Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes. Das Gesetz widerspricht zwei hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums: den materiellen und prozeduralen Anforderungen des Alimentationsprinzips und dem Abstandsgebot.

Verfassungswidrigkeit des Antragserfordernisses:

Die Besoldung eines Beamten, die das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung wahrt, darf nicht von einem Antragserfordernis abhängig gemacht werden. Der Dienstherr ist zur Besoldung von Amts wegen verpflichtet. Der Anspruch auf amtsangemessene Alimentation entsteht ipso jure („kraft Gesetzes“) aus dem gesetzlich definierten Statusverhältnis.

Schlechterstellung gegenüber Bedarfsgemeinschaften:

Während der Besoldungsgesetzgeber für das Besoldungsleitbild auf das tatsächliche Erwerbsverhalten von Beamtenfamilien abstellt, berücksichtigt er bei der Vergleichsfamilie allein die gesetzlichen Sozialansprüche. Der Gesetzgeber hat die anrechnungsfreien Hinzuverdienstmöglichkeiten und Ansprüche auf Einmalzahlungen in der Grundsicherung übersehen. Im Ergebnis wird der Beamte, der in einem grundsätzlich lebenslangen Dienst- und Treueverhältnis zum Dienstherrn steht, – trotz der verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) – strenger als die weniger voraussetzungsreiche Bedarfsgemeinschaft behandelt.

Verfassungswidrigkeit des Ergänzungszuschlages:

Der Ergänzungszuschlag zum Familienzuschlag verletzt schließlich das besoldungsinterne Abstandsgebot. Die Vergleichsberechnungen, zu denen der Gesetzgeber verpflichtet ist, berücksichtigen lediglich das Jahresgrundgehalt der Besoldungsgruppen und -ordnungen, nicht aber die familienbezogenen Besoldungsbestandteile. Da der Ergänzungszuschlag nur dem Namen nach ein familienbezogener Besoldungsbestandsteil ist, in Wirklichkeit jedoch den amtsangemessenen Lebensstandard des Beamten und seiner Familie gewährleisten soll, ist dieser bei der Vergleichsberechnung zu berücksichtigen. Ein überschlägiger Vergleich zeigt, dass die finanzielle Kompensation eines nichterzielten Partnereinkommens das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen und damit die Besoldungssystematik verletzt.

Verfassungswidrigkeit der Besoldung nach Haushaltslage und Prioritätensetzung:

Das Gesetz ist insgesamt verfassungswidrig. Das der verfassungsrechtlichen Würdigung des Gesetzes vorausliegende Strukturproblem ist die – vom Bund bestimmte – mittlerweile erhebliche Höhe der sozialrechtlichen Grundsicherung. Diese bestimmt über das Mindestabstandsgebot unmittelbar die Höhe der amtsangemessenen Alimentation niedriger Besoldungsgruppen und setzt damit den Bezugspunkt für die höheren Statusämter.

Aufgrund des Abstandsgebots und des steigenden Gehaltsniveaus wird ein Volumeneffekt für die Haushalte der Länder bewirkt. Dieser Effekt verlangt aus haushälterischer Sicht nach einer Dämpfung der fiskalischen Folgen einer amtsangemessenen Alimentation. Solange sich das Land nicht in einer fiskalischen Ausnahmesituation befindet, ist dieses Bemühen, Ausgaben zu sparen, nach der Rechtsprechung nicht als ausreichende Legitimation für eine Kürzung der Besoldung anzusehen.

Publikationshinweis:

Udo Di Fabio

Verfassungsmäßigkeit des Leitbilds der Mehrverdienerfamilie im nordrhein-westfälischen Besoldungssystem

Schriften zum öffentlichen Dienstrecht – Band 13

Publiziert von 

Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
Waldseestraße 3 - 5
76530 Baden-Baden

1. Auflage 2025

ISBN 978-3-7560-2389-9

​DBB NRW – Beamtenbund und Tarifunion Nordrhein-Westfalen 

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